Brief an den Rat: Was ist am 7. März passiert?
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10. März 2005 -- Der FFII stellt der Rechtsabteilung des EU Rates Fragen im Bezug auf die Vorgänge in der Sitzung vom 7. März 2005.
In einer Presseerklärung vom Montag behauptet die luxemburgische Präsidentschaft, dass in der Ratssitzung eine von einer qualifizierten Mehrheit unterstuetzte Entscheidung gefaellt wurde. Allerdings sieht es derzeit so aus, als ob eine solche qualifizierte Mehrheit gar nicht vorlag und die Annahme des Positionspapiers zur Softwarepatent-Richtlinie unter mehrfacher Verletzung der Geschäftsordnung des Rates zustande kam. Aus diesem Grund sollte der Rat zumindest erklären, wie er die Ereignisse der Sitzung vom Montag vor dem Hintergrund der Geschäftsordnung interpretiert.
Neues & Chronologie
2005-03-19 MdEP Meijer stellt die 23 Fragen an den Rat
- 2005-03-18 Benjamin Henrion erhält Empfangsbestätigung vom Rat über Eingang der Anfrage
2005-03-16 Bundestag hört leere Versprechung über EU-Verfassung an -- eine Gelegenheit, den EU-Rechtlern und EU-Ausschussmitgliedern ein Fallbeispiel vorzulegen und nachzuhaken?
2005-03-15 Benjamin Henrion schickt einen Brief mit den Fragen in Papierform an die Rechtsabteilung des Rates
2005-03-15 Hartmut Pilch nimmt Kontakt zur Rechtsabteilung über Webform auf, verweist auf die englischsprachige und die französische Webseite http://wiki.ffii.org/LtrFfiiCons050308Fr und fordert die Abteilung auf ihm in digitaler Form zu antworten, damit die Antwort allen interresierten Personen inclusive den 80,000 registrierten Unterstützern des FFII zugänglich gemacht werden kann.
2005-03-10 Jonas Maebe vervollständigt den Fragenkatalog. Dabei helfen u.a. Benjamin Henrion und mvernon.
2005-03-07 Hartmut Pilch startet diese Initiative.
Der Brief
Der Rat behauptet am Montag den 07.03.2005 eine gemeinsamme Position zur umstrittenen Softwarepatent-Direktive gefunden zu haben. Verschiedene nationale Parlamente hatten ihre Regierungen jedoch angewiesen, den zur Sitzung vorliegenden Entwurf abzulehnen. Zusätzlich waren mehrere Regierungen selbst mit dem Entwurf unzufrieden und fügten ihm eigene Erklärungen hinzu. Manche Regierungen beantragten sogar die Wiedereröffnung der Debatte. Die Aufzeichnungen der Sitzung vom 07.03.2005 mehren schliesslich die Zweifel daran, ob ueber die Annahme des Entwurfes wirklich jemals abgestimmt wurde.
Aus diesen Gründen würden wir gern folgende Fragen beantwortet sehen:
- 1. Wurde die Tagesordnung der Sitzung, wie in Artikel 3 (1) bestimmt, ordnungsgemäss 14 Tage im voraus den Delegationen zugesandt?
- 2. Falls das Softwarepatent-Positionspapier als A-Gegenstand nicht ordnungsgemäss 14 Tage vor der Sitzung auf die Tagesordnung gesetzt wurde; Hat keine der Delegationen die Streichung dieses Punktes von der Tagesordnung beantragt?
- 3. Zu welchem Zeitpunkt hat die Präsidentschaft die anderen Ratsmitglieder über die Aufnahme des Positionspapiers in die Tagesordnung informiert?
- 4. (a) Wurde Bulgarien und Rumänien die vorgeschriebene 7 Tagesfrist gewährt um sich über diese wichtige Direktive zu informieren? (b) Wenn dies, wie uns berichtet wurde, nicht der Fall war, welchen Grund hatte die Präsidentschaft die Frist nicht einzuhalten? (c) waren die genannten Länder mit der Nichtbefolgung dieser Verfahrensregel einverstanden?
- 5. Das Kommittee für Europäische Angelegenheiten des dänischen Parlaments hat den dänischen Minister verpflichtet, einen B-Punkt zu fordern gemäß Artikel 3(8). Die Ratspräsidentschaft hat in ihrer Eröffnungsrede angemerkt, daß Dänemark, neben Polen und Portugal, in der Tat einen B-Punkt gefordert haben, aber diese Forderung unzulässig war. Ist somit die Annahme korrekt, daß Dänemark, wie von seinem Parlament verlangt, einen B-Punkt gefordert hat?
- 6. Impliziert die Forderung eines B-Punktes nicht automatisch dessen Rücknahme als A-Punkt?
- 7. Artikel 3(8) der Verfahrensregeln des Rates sagt aus, daß "falls eine Position als "A"-Punkt zu weiteren Diskussionen darüber führen könnte', der A-Punkt von der Tagesordnung zu nehmen ist. Ist die Tatsache, daß drei Mitgliedsstaaten den Wunsch nach einer Neueröffnung der Diskussion äußern, nicht als Hinweis darauf zu verstehen, daß bestimmte Positionen in der Tat zu weiteren Diskussionen führen "könnten"? Falls nicht, können Sie uns ein Beispiel geben, in welchem die Bedingungen dieser Regel erfüllt wären?
- 8. Nur "der Rat" kann festlegen, daß die Forderung nach Entfernung eines A-Punktes oder dessen Umwandlung in einen B-Punkt unzulässig ist. Wer war "der Rat" in diesem Fall?
- 9. Für den Fall, daß tatsächlich eine Abstimmung darüber gehalten würde, welche Mehrheitsregeln werden verwendet?
- 10. Falls diese Abstimmung initiiert worden wäre, über welche Frage hätten die Ratsmitglieder abzustimmen gehabt?
- 11. Die Ratspräsidentschaft tritt auf als "der Rat" in Zusammenhang mit der Zurückweisung der dänischen Forderung auf B-Punkt. (a) Will die Präsidentschaft damit implizieren, daß der Verweis auf "den Rat" in Artikel 3 der Verfahrensordnung ein Verweis auf die Präsidentschaft ist, also daß nur die Präsidentschaft allein eine B-Punkt - Forderung abweisen kann? (b) Falls ja, basierend auf welcher Regel?
- 12. In Bezug auf die Neueröffnung der Diskussionen hat die Präsidentschaft ausgesagt, daß sie die Diskussion nicht neu eröffnen könnte, weil "Verfahren existieren, die es zu respektieren gilt". (a) Können Sie präzisieren, welche Verfahren besagen, daß eine politische Übereinkunft nicht erneut diskutiert werden kann? (b) Sollte keine derartige Regel existieren, wie ist eine derartige Aussage zu rechtfertigen?
- 13. (a) Falls die Präsidentschaft allein eine Forderung auf B-Punkt nicht ablehnen kann, wie votierte eine Mehrheit des Rates gegen die Entfernung des Punktes von der Tagesordnung? (b) Artikel 8(1)(b) legt fest, daß das Ergebnis einer Abstimmung "in visueller Weise angezeigt" werden muß, aber es war keine derartige Anzeige in den öffentlichen Videos zu sehen. Haben wir diese verpaßt, oder wurde zu keiner Abstimmung gerufen? (c) Falls keine Abstimmung stattgefunden hat, wie paßt dies zu den Verfahrensregeln des Rates?
- 14. Am Ende der Sitzung fragte die Präsidentschaft, ob jeder den "anderen" A-Punkten zustimmen würde. Bedeutet dies, daß über den Softwarepatente - A-Punkt vorher bereits abgestimmt wurde? Falls ja, wann ist dies geschehen?
- 15. Verschiedene Teile der Sitzung waren nicht-öffentlich, etwa die Rede von Minister Brinkhorst. Warum? In den Aufzeichnungen der englischen Simultanübersetzung können wir eine Anfrage "Schalte mich aus" von einem Ratsmitglied hören. Ist es konform mit den Verfahrensregeln des Rates, ein Mikrophon auszuschalten, so daß die Öffentlichkeit nicht hören kann, was in einer öffentlichen Beratung ausgesagt wird?
- 16. Kann der Gemeinsame Standpunkt dem Europäischen Parlament übersandt und dort präsentiert werden, bevor die Protokolle unterschrieben sind?
- 17. Was geschieht, falls ein Mitgliedsstaat die Protokolle nicht unterzeichnet?
- 18. Belgien und Frankreich unilaterale Erklärungen dem Text beigefügt, dessen politische Zustimmung im Mai erreicht wurde und der im Kern der Text auf der Montags-Agenda ist. Warum wurden diese Erklärungen am Montag nicht erwähnt, und warum wurden diese Erklärungen nicht dem EU-Parlament übersandt?
- 19. Wie viele Direktiven in der Geschichte des Rates hatten der formalen Verabschiedung des Rates in erster Lesung mehr unilaterale Erklärungen beigefügt als diese?
- 20. Minister Verwilghen hat im belgischen Parlament erklärt, daß kein Land einen B-Punkt gefordert hat. (a) Können Sie erklären, warum die Präsidentschaft die Forderung dreier Länder erwähnt, wenn niemand danach gefragt hat? (b) Falls diese Länder die Präsidentschaft wirklich vertraulich oder informal angefragt haben, ist dies nicht im Widerspruch zu der Tatsache, daß eine "öffentliche Beratung" stattfand? (c) Wieviel der "öffentlichen Beratung" war nicht öffentlich, und an welchem Punkt wurde es eine nicht-öffentliche Beratung mit einer kurzen öffentlichen Zusammenfassung des Endresultats? (d) Ist dies nicht zumindest im Geiste konträr zu den Verfahrensregeln des Rates?
- 21. Die Verfahrensregeln besagen klar, daß die Entfernung eines A-Punktes von der Tagesordnung oder die Rückwandlung in einen B-Punkt "vom Rat" verweigert werden kann. Dies besagt, daß, so lang der Rat sicherstellt, daß er nicht die Erklärungen von vier Parlamenten und Besorgniserklärungen von neun Mitgliedsstaaten (7 am letzten Montag, zwei im Mai 2004) hinsichtlich des Texts der politischen Übereinkunft anregt, die Chance, daß eine Anfrage dieser Art entsteht und in der Tat eine Abstimmung übersteht, relativ gering ist. So gesehen, wie kann die Ratspräsidentschaft die Verweigerung eines B-Punktes rechtfertigen basierend auf "institutionellen Gründen" und der Angst, einen Präzedenzfall zu erzeugen, der potentiell die zukünftige Rats-Arbeit verzögert?
- 22. Wurden von dem Ratstreffen vollständige Protokolle angefertigt? Falls ja, in welchem Format (Audio, Steno, ...), und ist es für die Öffentlichkeit möglich, Zugriff auf jenen Teil der Protokolle zu bekommen, die zu den öffentlichen Beratungen gehören?
- 23. Wie kann ein Delegierter anzeigen, daß er in einer dringenden Angelegenheit sprechen möchte, selbst wenn er nicht an der Reihe ist, zum Beispiel als Reaktion auf eine überraschende Entwicklung im Verhandlungsverlauf, wo er normalerweise nicht noch einmal gefragt werden würde? Existieren Bedingungen, nach denen ein Delegierter nicht sprechen kann, selbst wenn er will? Kann die Präsidentschaft oder irgendjemand anders das Mikrofon eines Delegierten abschalten, oder die Aufzeichnung und öffentliche Übertragung in solchen Fällen unterbrechen? Unter welchen Bedingungen würde einem Delegierten erlaubt werden, in solchen Fällen trotzdem im Rat zu sprechen?
Selbst wenn alle Interpretationen der Regeln mit besten Absichten geschehen sind, möglicherweise sogar in unserem Interesse und ohne daß wir genau verstehen wie, so hoffen wir, sie können erkennen, daß diese Art von kreativer Regel-Auslegung nicht das Vertrauen in die demokratische Funktion des Rates stärkt. Es scheint so, as wäre das gesamte Ratstreffen nur eine geprobte Aufführung, daß die meisten "öffentlichen Beratungen" in keiner Weise öffentlich stattgefunden haben und daß noch schlimmere Präzedenzfälle geschaffen wurden als jene, die der Rat gefürchtet hat:
- Der Rat scheint in dieser Gesetzgebung Geschwindigkeit über Qualität zu erzwingen, selbst wenn er die enorme Wichtigkeit dieser Gesetzgebung erkennt.
- Der Rat impliziert, daß eine politische Übereinkunft immer aufgrund "instituioneller Gründe" endgültig ist. Nichtsdestotrotz können nationale Parlamente den endgültigen Text einer politischen Übereinkunft nur einsehen, nachdem diese Übereinkunft erreicht wurde, da sich dieser Text möglicherweise immer noch ändert im Rahmen des Treffens, auf dem die Übereinkunft zustandekommt (wie geschehen im Mai 2004). Damit sind sie niemals in der Lage zu entscheiden, ob sie eine Gemeinsame Position des Rates akzeptieren wollen.
Wir übersenden Ihnen all diese Fragen bezüglich des Verfahrens nicht deswegen, weil wir den Text nicht mögen, der aus der ersten Lesung im Rat enstanden ist. Wir sind traurig darüber wegen des demokratischen Defizits, welches diese Entscheidung umgibt. Wir hätten sehr viel lieber einen deutlich schlechteren Text aus dem Rat gesehen (sofern dies möglich ist), aber diesen mit voller demokratischer Unterstützung, anstelle eines Textes, der Softwarepatente verbietet, aber nach dem Verfahren vom Montag zustandegekommen ist. Dies hat nichts mit Softwarepatenten zu tun, hier geht es um den Respekt für die Fundamente der Europäischen Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen,
...
Der Vorstand des FFII
Aktionen für FFII und Unterstützer
- Fragensammlung bearbeiten, neue Fragen zufügen.
- Auszug der Ratsregeln studieren und eigene Beschwerde an den Rat schreiben. Die Nummer der Direktive ist 2002/0047 (COD).
- Den Rat kontaktieren: Mail an public info at consilium eu int
Den Rechtsdienst des Rates kontaktieren. Unter http://ue.eu.int/cms3_applications/applications/infoPublic/email.asp?lang=EN&cmsid=555 existiert eine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, ein Webformular existiert
- Nationale MPs und MEPs bitten, die Erforderlichkeit einer Antwort des Rates zu unterstreichen
Für die Luxembourgische Präsidentschaft ins Französische übertragen (LtrFfiiCons050308Fr)